Vogelperspektive, Paquimé, Casas Grandes, Chihuahua

Berni und ich stehen im modernen Besucherzentrum, das zur Ausgrabungsstätte Paquimé gehört, und sind im Begriff zwei Tickets zu kaufen. Wir füllen einen Fragebogen aus, in dem der Name, die Nationalität, das Datum und die Anzahl der Personen eingetragen wird. Bei letzterer Angabe stutzen wir. Was haben die anderen Gäste hier eingetragen? Wir lesen 45 oder 60.  Die Ausgrabungsstätte wird offensichtlich meist von Reisebussen angesteuert. Fast verschämt setzten wir unsere -2- in die Spalte. Der Angestellte händigt uns die Eintrittskarten aus und weist uns den Weg: „Aus dem Gebäude wieder heraus und nach rechts, sie werden schon sehen!“ Das stimmt. Denn in diese Richtung bewegt sich gerade eine Reisegesellschaft. 

Wer war dieses Volk?

Paquimé ist die einzige prähispanische Ausgrabungsstätte im Norden von Mexiko. In Yucatán besichtigen wir etliche Pyramiden. Was wird uns hier erwarten? Als erstes stolpern wir über die Reste eines Ballspielplatzes. Das kennen wir schon. Jede etwas größere Maya Siedlung besaß ein solches Feld. Ich schmunzle. Würden in 500 oder 600 Jahren unsere Städte untersucht werden, würde man fast überall Fußballfelder finden! Auf diesem Ballspielplatz, so lese ich auf der Schautafel, wurden symbolisch die Kämpfe zwischen dem Licht und der Dunkelheit ausgetragen. Es war ein spiritueller Ort. Also siedelten hier die Mayas? Nein.

Völkerwanderungen aus dem Norden

Die Bewohner kamen vor 1100 Jahren in Folge von Völkerwanderungen aus Nordamerika in dieses trockene Tal. Ihre sprachliche und ethnische Herkunft ist unbekannt. Sie brachten die Adobe Bauweise mit, das heißt, sie fertigten ihre Häuser aus getrocknetem Lehm. Ähnliche Bauten gibt es in New Mexiko und Arizona. Allerdings verfeinerten sie in Nordmexiko ihre Technik und konstruierten multifamiläre Komplexe mit mehr als 1700 Räumen, manche davon dreistöckig. Ich bin gespannt. 

Pueblo Völker

Die Bevölkerung stammte von den Pueblo Völkern ab. So nennen Archäologen die indigenen Menschen aus Nordamerika, die „Dörfer“ gründeten. Pueblo bedeutet „Ort“. Im Gegensatz zu den Normaden. Vermutlich geht ihr Ursprung auf eine Linie zurück, aber sie entwickelten differenzierte Sprachen oder Fertigkeiten.

Eine Heirat nur innerhalb des Clans

In Paquimé lebten Clans in ihren eigenen Vierteln. Sie waren spezialisiert auf ein Handwerk oder einen Aufgabenbereich. Wie hat die Gesellschaft funktioniert? Ich stelle mir das schwierig vor! Die Lösung lautet: Jeder Clan stellte einen Vertreter, der mit den Priestern und dem Anführer eine Art Regierung bildete. Da waren sie den Mayas voraus! 

Berauschende Feste

Nach dem Ballspielplatz  führt der Besucherweg zu den Resten eines Hauses und einem Loch im Boden. Es hat den Durchmesser von etwa drei Meter. Auf dem Grund liegt ein wenig Kohle. Mit diesem Steinofen wurde ein süßer Mexcal gebrannt. Er wurde von den Ballspielern, den Musikern, den Tänzern, Priestern und den Führern bei Festlichkeiten getrunken. Da ging es sicher fröhlich zu!

Hügel des Kreuzes

Weiter geht es zu einem flachen Hügel auf dem ein riesiges Kreuz aus Steinen flach auf dem Boden liegt. An den vier Enden befinden sich Kreise mit jeweils drei oder vier Metern Durchmessern. Vom Himmel aus muss es gut zu erkennen sein, vom Boden aus weniger. Unwillkürlich schaue ich nach oben. Es ist fast wie ein großes Pluszeichen mit Kringeln an den Außenposten, nach dem Motto: Bitte hier landen! Ein Zeichen für wen auch immer.
Neugierig studiere ich die Deutung der Archäologen. Es soll der Beobachtung der Sonne und der Jahreszeiten gedient haben. Denn die Menschen ernährten sich von Lebensmitteln, die sie saisonal pflanzten und  bewässerten. Die Konstrukteure von Pamiqué  leiteten das Wasser aus dem nahen Fluss ab, sammelten und  führten  es mittels Kanalisation auf die Felder und in die Häuser. Letzteres war ein neuer Schritt. Ich schaue das Kreuz wieder an. Ein Observatorium, das flach auf dem Boden liegt?

Ein Labyrinth aus Lehmwänden

Und dann nähern wir uns einem Labyrinth aus Lehmwänden. Es erstreckt sich über mehrere flache Hügel. Unmöglich sich das Ausmaß vorzustellen. Die Mauern sind dicht an dicht. Viele gruppieren sich um einen kleinen Platz. Die Stadt war in verschiedene Quartiere unterteilt, in denen jeweils ein eigener Clan wohnte. Sie unterschieden sich durch Tiersymbole. Der Clan der Aras, der Truthähne, der Schlangen usw.

Das Haus des Todes, Casa de los Guajolotes

Der Gebäudekomplex des Todes oder auch das Haus der Truthähne genannt, war bewohnt von dem Clan der Heiler. Sie züchteten Truthähne, die sie für ihre Zeremonien brauchten. Die Federn verwendeten sie als Schmuck. Die Heiler hatten das ganze Jahr über viel zu tun. Man geht davon aus, dass immer ein Truthahn auf dem Feuer briet. Dem Vogel kam noch eine besondere Bedeutung zu: Er trägt die Seele eines Verstorbenen in eine andere Welt. Aber Vorsicht, falls die Zeremonie nicht ordnungsgemäß ausgeführt wurde, wird der Arme als Tier wiedergeboren!

Immer wieder die Vogelperspektive

Zwei runde Gebäudereste auf einem aufgeschütteten Hügel fallen mir auf. Viel zu erkennen ist nicht. Aus der Luft betrachtet, stellen sie je einen Vogel ohne Kopf dar, so ist es der Schautafel zu entnehmen. Die Gebäude dienten spirituellen Zwecken. Der Vogel überbrachte auch die Botschaften der Gemeinschaft zu Gott. Ich stutze. Für wen ist die Architektur ausgerichtet, wenn man sie nur aus der Luft betrachten kann?

Paquimé Weltkulturerbe 

Paquimé entwickelte sich zu einem Knotenpunkt zwischen den Wüstenvölkern im Norden und den Völkern Mesoamerika. 1475 drängten rivalisierende Gruppen in das Gebiet. Sie besiegten Paquimé und brannten die Stadt nieder. Plünderer raubten die Häuser aus. Es ist nicht mehr viel übrig. Seit 1998 ist die Ausgrabungsstätte Weltkultur Erbe und steht seit 2015 unter besonderem Schutz bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Mauern sind fragil und verdienen unseren Schutz. Aber – wer – zwischen den Wänden gewohnt hat und vor allen Dingen – wie -, bleibt weitestgehend im Dunkeln.