El Hormiguero – Im Rachen der Schlange, Campeche, Mexiko

Wir sind auf dem Rückweg von Guatemala und Belize nach Mexiko City. Ein Monat bleibt uns noch, bevor es wieder nach Deutschland geht. Was sollen wir uns noch anschauen? Yucatan erkundeten wir 2021 ausgiebig. Die Highlights kennen wir. Aber im dichten Dschungel liegen noch etliche kleine Schätze verborgen. Meine Augen durchforsten die Karte und sie bleiben an der Ausgrabungsstätte El Hormiguero hängen.

Endloser Dschungel

Wir verlassen den Highway 186 bei Xpujil und folgen dem Schild zum Biosphärenreservat Calakmul. Die Ruinen El Hormiguero liegen in einem hügeligen Buschland, das geschützt ist. Nach dem letzten Dörfchen wird die Straße einspurig. Eigentlich ist sie das nicht, wie der gelbe Mittelstreifen verrät. Aber die Natur holt sich jeden Zentimeter Straße zurück. Inzwischen sind es beidseitig gut fünfzig Zentimeter. Da uns kein Auto entgegenkommt, genießen wir die Fahrt im Grünen. Ab dem Biosphärenreservat wird unser Sträßchen unbefestigt. Hier soll gewandert oder Mountainbike gefahren werden, entnehme ich den Verkehrsschildern. Da stören die Schlaglöcher und Auswaschungen nicht. Zweifelnd frage ich Berni, ob wir nicht zufällig auf einem Wanderweg gelandet sind? Ein Ast versperrt uns die Weiterfahrt. „Das wird nichts!“, sagt Berni und schickt sich an auszusteigen, „ich hole die Astsäge …“. „Ach, was!“, erwidere ich und halte ihn am Ärmel fest, „das Ästchen hebe ich an!“.

El Hormiguero 

Plötzlich weitet sich das Buschland, und ein großer unbefestigter Parkplatz wird sichtbar. Hier könnten x-Omnibusse parken, falls sie hierhin kämen. So steht unser gelber Postbus völlig allein. Der Besuch der Ausgrabungsstätte ist kostenlos, wir können es fast nicht glauben. Leider gibt es keine Infotafeln und auch Wikipedia gibt wenig Auskunft zur Geschichte. Ich erfahre lediglich, dass der Ort bereits im 9. Jahrhundert n. Chr. verlassen wurde. 

Der Weg durch den geöffneten Rachen 

Ein kleiner Weg führt durch den Dschungel zu einem großen Gebäude (Gebäude II). „Wow!“, entweicht es mir. Das Bauwerk ist Spiegel gleich konstruiert und dekoriert. Runde Bögen flankieren beide Seiten eines Tores. Ich kann meinen Blick nicht von diesem Eingang lassen: Das ist ein Gesicht mit Augen, Nase und einem geöffneten Maul. Die dreidimensionalen Zähne sind der Torsturz. Die Eingangsplattform vor der Tür repräsentiert die heraus gesteckte Zunge. Die Besucher treten in das geöffnete Maul – wie gruselig! Links und rechts sind weitere Ornamente und Masken abgebildet. Wir erkennen einen alten Bekannten: Der Regengott Chaac ist ebenfalls vertreten. Wie immer beschleicht mich der Gedanke, dass es sich um eine Symbolsprache handeln könnte. Eine Geschichte, die erzählt wird, die wir aber nicht entschlüsseln können.

 Die Symbolik der Schlange

Von Wikipedia erfahre ich, dass das Gesicht eine Schlange symbolisieren soll. Da fallen mir sofort die Tolteken ein, deren Herrscher alle Söhne der Schlange waren. Wie vielen Schlangenabbildungen sind wir schon begegnet? Ich kann sie nicht mehr zählen. Auffallend ist, dass sie besonders kriegerisch unterwegs waren. Reste roter Farbe leuchten an verschiedenen Stellen im Mauerwerk von El Hormiguero. Ich sitze vor dem Gebäude und meine Fantasie läuft auf Hochtouren. Wer kann sich mitten im grünen Dschungel eine haushohe, rot/weiß bemalte Fratze mit geöffnetem Maul als Tor vorstellen, durch das die Besucher auf einer roten Zunge eintreten? Es gäbe eine coole Kulisse für einen Disney-Zeichentrick-Film. Oder etwas in der Art Herr der Ringe. Ich schüttle den Kopf.

Wer wohnte hier?

In El Hormiguero finden wir keine Pyramiden. Es sind Gebäude, die für repräsentative Zwecke und/oder Wohnraum verwendet wurden. Von wem? Wissen wir nicht. Aber die hochwertige Steinverarbeitung, die aufwändig abgerundeten Ecken und die engen, überwölbten Räume lassen auf adelige Hausherren schließen. Die Archäologen ordnen die Architektur dem Rio-Bec-Stil zu. Insgesamt fünf Gebäude sind lokalisiert. Unter Erdschichten schlummern mit Sicherheit mehr. Mir scheint, dass, wenn alle Ausgrabungsstätten in Yucatan ausgraben würden, für die heutige Bevölkerung kein Platz mehr bliebe. 

El Hormiguero bedeutet Ameisenhaufen!

Hormigas (Ameisen) attackieren unsere Füße. Ihr Biss ist für uns besonders ätzend. Wir müssen uns bewegen. Und plötzlich fällt mir ein, warum meine Augen ganz zufällig an der Ausgrabungsstätte El Hormiguero hängenblieben: „Hormigas!“, ist ein wohlbekanntes Wort für uns! Es vergeht kein Tag, an dem wir es nicht benutzen. Eine Ausgrabungsstätte namens El Hormiguero, das bedeutet Ameisenhaufen! Ich muss schmunzeln. Das hätten sich die kriegerischen Bewohner von damals sicher nicht gewünscht!