Ich höre ein prasselndes Geräusch. Wie starke Regentropfen auf dem Laub, aber es regnet nicht. Oder doch? Verwirrt bleibe ich stehen und lausche. „Wenn es sich anhört, wie wenn es regnet, dann gehe rasch unter dem Baum weg!“, grinst Berni und zieht mich beiseite. Er zeigt nach oben: „Da sitzt ein pinkelnder Affe!“. Ich starre in die dichte Baumkrone. „Woher weißt du das?“, frage ich, denn ich sehe kein Lebenszeichen von einem Affen. „Ist mir schon passiert!“, lacht er.
National Park Tikal
Wir befinden uns im Nationalpark Tikal. Es ist neun Uhr morgens. Der Himmel ist bewölkt. Das ist einerseits schade, andererseits gut, denn unser Hündchen Rosalia muss im Auto auf uns warten. Hunde sind im Nationalpark verboten. Am Eingang kauften wir uns den offiziellen ParK Guide. Das ist eine große Übersichtskarte mit den wichtigsten Ausgrabungen und einer dazugehörigen Kurzbeschreibung. Die Wege sind ebenfalls beschriftet, inklusive der Wanderzeit. „Oh, da sind wir Stunden unterwegs!“, sage ich zu Berni und blicke zweifelnd auf meine Sandalen. Die Ausgrabungsstätte Tikal liegt mitten im Dschungel. Der Boden ist feucht und auf den Steinen oder Wurzeln ist es sehr rutschig. Manche Ruinen sind nur ansatzweise ausgegraben oder gar nicht. Aus verdächtigen Erdhügeln wachsen dann Bäume und Gebüsche. Flechten und Moose überziehen Mauern und Stufen.
Tikal
Einfache Bauern besiedelten das Gebiet bereits etwa 900 v. Chr. Die ersten komplexen Gebäude werden allerdings erst auf 400 v. Chr. datiert. Dann ging alles sehr schnell. Tikal entwickelte sich zu einem bedeutenden Handelsknotenpunkt, der Ost- und West-Mesoamerika miteinander verband. Sie wuchs auf über 200 000 Einwohner und 65 m2 Kilometer an. Die umliegenden Städte stellten sich bald unter den Schutz dieser mächtigen Stadt. Aber nicht nur sie. Es war die Zeit der Allianzen. Der Einfluss Tikals reichte bis weit nach Yucatán und Honduras hinein. Die Stadt wurde der mächtigste Staat des Tieflands und später des gesamten Maya-Territoriums.
Wolkenkratzer im Dschungel
Ich blicke auf die Karte: Wir brauchen für die Besichtigung einen Plan. Das Gelände ist riesig. Berni und ich beschließen, uns das Zentrum, die Gran Plaza, zum Schluss aufzuheben und zu einer Umrundung zu starten. Der Templo IV ist mit 70 Metern die höchste Pyramide. Sie ist nur einseitig ausgegraben, wirkt aber auch in diesem Zustand imposant! Eine lange und steile Treppe führt auf die oberste Plattform. „Pass auf!“, sagt Berni warnend, „Da ist überall Affenscheiße!“. Und richtig! Fast hätte ich hineingefasst! Von oben haben wir einen weiten Blick über das grüne Dach des Dschungels. Drei Tempelspitzen ragen in der Ferne aus dem Dickicht. Wie Wolkenkratzer durchdringen sie den Urwald. Ein Nasenbär hat sich ebenfalls in diese luftige Höhe begeben und stiehlt den Pyramiden die Show.
Pyramiden über Pyramiden
Unter uns warten unzählige Erdhügel noch auf ihre Entdeckung. Über das gesamte Gelände sind mehrere tausend Sehenswürdigkeiten verteilt. Uns wird schnell klar: Wir bräuchten Tage, um alles zu sehen.
Nichtsdestotrotz rutschen, klettern und steigen wir weiter auf Leitern, um nach drei Stunden an unserem Ziel anzukommen: der Gran Plaza. Und siehe da: Die Wolken reißen auf und der Platz erscheint in freundlichem Sonnenschein.
Gran Plaza
Das Herzstück von Tikal bildet der Große Platz mit den zwei gegenüberliegenden Pyramiden. Sie sind überraschend schmal und hoch gebaut. Ein letztes Mal erklimmen wir steile Leitern, um einen Blick vom Tempel des Großen Jaguars auf den Platz und den Tempel der Masken zu werfen. So also fühlte sich der Priester, wenn er auf sein Volk sah! Heute, im Jahr 2024, an einem Montag, ist indes nicht viel los.
Ich versuche mir Tikal vorzustellen, wie es zu seiner Blütezeit aussah: eine Mega-Stadt mitten im Dschungel. Unvorstellbar. Heute gibt es im Umkreis keine großen Städte mehr und auch kein Straßennetz. Der Dschungel hat sich alles zurückerobert. In den Baumkronen brüllen die Affen. Und manchmal treiben sie ihre Spielchen mit den Touristen. Sie sind geschützt im National Park Tikal. Genauso wie der Jaguar, die Nasenbären, wilde Truthähne, Tukane, Papageien und viele Tiere mehr.