Es gibt Orte, die gab es nie. Mexiko hat einige davon. Vor allen Dingen im Umland der Stadt Durango, scheint es hierfür die idealen Voraussetzungen zu geben. Die Stadt liegt im Gebirge auf etwa 1800 Höhenmetern inmitten einer großen Hochebene. Es ist Mitte Dezember und schon einige Monate nach der Regenzeit, denn die riesigen Weideflächen sind bereits gelb verdorrt. Im Hintergrund erheben sich malerische Gebirgszüge. Auf der unbefestigten Straße kommen uns Reiter entgegen. Keine Hobbyreiter, wie bei uns in Deutschland. Diese Männer sind auf dem Weg zu ihrer Arbeit: Der Landarbeit.
Der wilde Westen
Vielleicht hat der Anblick der reitenden Landbevölkerung die Filmemacher inspiriert? Eines ist klar: Die Landschaft spiegelt den Wilden Westen wieder. Also das, was wir für den Wilden Westen halten. Oder das, was wir für den Wilden Westen zu halten haben.
Amerika oder Mexiko?
Denn der Wilde Westen liegt doch eigentlich in Amerika?! Aber, was ist Mexiko heute und wie groß war es einst? Wer weiß denn schon, dass es im mexikanisch-amerikanischen Krieg 1846-1848 die heutigen US-Bundesstaaten Kalifornien, Nevada, Arizona, Utah, Texas, Colorado, New Mexico, Wyoming, Kansas und Oklahoma an die USA abtreten musste? Ich bin verwirrt.
Die John Wayne Rancho
Berni und ich sind auf dem Weg zu der John Wayne Rancho. Es soll eine Stadt sein, die nur für die Filmaufnahmen aufgebaut wurde. Eine Stadt, die nur im Fernseher existiert, denn bewohnt wurde sie nie. Wir sind gespannt. Es ist unter der Woche und wir sind die einzigen Besucher auf der John Wayne Rancho. Das ist gut so, denn so kann ich mich gänzlich meiner Phantasie hingeben.
Spiel mir das Lied vom Tod
Der Tag ist perfekt. Der Himmel strahlt kräftig blau und bietet einen phantastischen Kontrast zu den Holzfassaden, der Kirche aus Stein, den Pferdekutschen und den umliegenden Bergen. Fast höre ich die Mundharmonika aus dem Film „Spiel mir das Lied vom Tod“. Hier also fanden Kämpfe statt, ertönten Gewehrschüsse und rollten die Banditen von den Balkonen. Oder etwa nicht? Wir öffnen die Saloontür. Eine Rumpelkammer empfängt uns. In der alten Kirche flattern uns aufgeschreckte Eulen entgegen. Keine Spur von Heiligtum. Die Fenster der Wohnhäuser sind künstlich beschlagen, sonst würde man die nackte Wahrheit sehen. Nämlich nichts. Alles nur Fassade.
Alles Schein
Ich stelle mir John Wayne vor, der lockeren Schrittes die Tür zum Balkon aufstößt um von hier oben die Banditen zu erledigen. Vielleicht hatte er zuvor noch ein Rendezvous mit einer Dame? In Wirklichkeit musste er auf einer Holzleiter zur Balkontür gelangen. Denn das Gebäude besteht nur aus einer Fassade, die von sichtbaren Gerüsten gehalten wird. Das ist die wahre schauspielerische Leistung: Zu Tun als ob. Meinen Respekt. Aber ich frage mich, ob es den Wilden Westen in dieser Form wirklich gab? Was hat uns die Medienlandschaft vorgespielt?
Viejo Oeste
Wenige Kilometer südlich befindet sich eine weitere Filmstadt. Sie wird unter dem Namen Paseo del Viejo Oeste vermarktet. Es ist ein Erlebnispark, in dem alle zwei Stunden ein Westernstück life aufgeführt wird. Es spielt auf der Straße vor dem Saloon und das Publikum zittert vor Aufregung mit. Ein Tag im „Alten Westen“ (bei uns heißt es der Wilde Westen) ist ein Freizeitspaß für die ganze Familie. Berni und ich ziehen unsere eigene Phantasie vor. Und die ist heute ins Schwanken geraten: Was ist wirklich geschehen im sogenannten wilden Westen?