Die Gitarrenstadt, Paracho de Verduzo, Michoacán

Coco – lebendiger als das Leben!

Den Kinofilm, Coco – lebendiger als das Leben!, kennt man bei uns in Deutschland kaum. Oder besser gesagt Bernis und meine Generation kennt ihn kaum. Es ist ein Animationsfilm aus dem Jahr 2017. Er handelt von dem Wunsch des zwölfjährigen Miguel ein berühmter Gitarrenspieler zu werden. Aber das geht nicht. Denn sein Ururgroßvater verfließ seine Frau und seine kleine Tochter Coco (Miguels Mutter) eben aus diesem Grund. Er kam nie mehr zurück. Seitdem ist das Thema Musik tabu. Die Familie lebt vom Schuhmacherhandwerk. Und da soll Miguel hineinwachsen. Aber dann geschehen am Tag der Toten, dem Día de Muertes, seltsame Dinge.

Die Gitarrenstadt – Paracho de Verduzo

Die Geschichte spielt in der Gitarrenstadt Mexikos: In Paracho de Verduzo. Hier fertigen die fähigsten Handwerker des Landes Violinen, Gitarren, Ukulelen, Mandolinen und weitere Saiteninstrumente an, deren Namen ich nicht einmal kenne. Sie spielen in den Konzerthallen oder Festhallen auf der ganzen Welt. Berni und ich übernachten in Uruapan, das ist etwa dreißig Kilometer von Paracho de Verduzo entfernt. Und es sind sechs Tage nach dem Día de Muertes! Wenn das kein Zufall ist. 

Paracho de Verduzo

Auf der Kreisverkehrsinsel am Ortseingang strahlt uns eine fünf Meter hohe Gitarre entgegen. Hier sind wir richtig. Der Ort hat etwa 21 000 Einwohner und liegt auf 2200 m Höhe. Die Bearbeitung von Holz hat in dieser Gegend Tradition. In den Straßendörfern sahen wir unzählige Verkaufsshops mit Holzmöbeln. In Paracho hat man sich indes auf Saiteninstrumenten spezialisiert.

Marktplatz

Wir erreichen die kleine Stadt gegen 11:00 Uhr am Vormittag. Auf und um den Marktplatz sind Verkaufsstände aufgebaut. Auf den Straßen geht es entsprechend eng zu. Mir fallen viele Frauen, gekleidet in mexikanischer Tracht, auf. Sie haben einen stolzen Gang, wenn auch ihr Gesichtsausdruck nicht ganz so offen wirkt, wie wir es von anderen Orten gewohnt sind. Ich schaue mich um. Die Gemeinde wirkt auf den ersten Blick heruntergekommen. Sind wir hier willkommen und steht unser Postbus sicher? Ein bewachter Parkplatz findet sich nicht. Ich frage die Verkäuferin eines kleinen Schuhgeschäftes, ob wir vor ihrem Laden parken können. „ Si.“, antwortet sie und lächelt. Geht doch!
Auf dem Marktplatz finden wir einen Stand mit Vollkornfladenbrot. Die Mexikanerin versichert mir: „Puro trigo (reiner Weizen)!“, und … lächelt. Der Ort wird mir sympathisch. 

Violinen, Gitarren, Ukulele und sonstige

Im Mercado de Artesanía erklärt mir ein alter Mann seine Ukulele und Gitarren. Es sind wunderschöne Instrumente. Sie sind in Handarbeit gefertigt. Das Holz sorgfältig ausgewählt. Leider kann ich sie nicht spielen. Ich spiele Klavier und mexikanische Flöten. Die Art und Weise, wie der alte Mann mit den Instrumenten umgeht, beeindruckt mich. Das ist Liebe und Ehrfurcht. Für mich stimmt er meine Lieblingsukulele: Eine Konzertukulele – die teuerste im ganzen Laden! Berni kann mich nur mit Mühe wegziehen. Er verspricht mir, auf dem Rückweg aus dem Norden, hier noch einmal vorbeizukommen. Wir nehmen eine mit nach Deutschland, dann kann ich lernen sie zu spielen. Versprochen! An der Hauptstraße reiht sich eine Werkstatt an die nächste. Wir können den Maestros über die Schulter schauen. Was für ein Mekka für Gitarristen!

Mercado

Berni und ich schlendern auf der Suche nach frischem Obst durch den Mercado von Paracho de Verduzo. Die (meist) Frauen hinter den Ständen blicken uns an ohne die Mine zu verziehen. Aber kaum spreche ich sie an, tauen sie auf. Sie lächeln und bieten uns Proben an, wenn wir die Obstsorte nicht kennen. Das ist nett. Wir fühlen uns inzwischen wohl und essen im Mercado Comunal zu Mittag. Und irgendwie habe ich den Eindruck, dass die beiden Frauen hinter der Theke stolz darauf sind, uns als Gäste zu haben. Auch, wenn erst ganz am Schluss ein Lächeln über ihre Lippen gleitet. So gesättigt, setzen wir uns auf den kleinen Marktplatz um das bunte Treiben zu beobachten.

Mexikanische Schulkinder

Die Schüler einer benachbarten Schule verbringen ihre Mittagspause auf dem Dorfplatz. Eine Gruppe Mädchen schaut zu uns und tuschelt. Plötzlich wagt ein Mädchen uns anzusprechen. Woher wir kommen?, will sie wissen. Aus Deutschland? Wirklich? Aufgeregt flitzt sie zu ihren Freundinnen. Ich höre sie wild durcheinander reden. Wissen die Kinder eigentlich wie weit Deutschland entfernt ist? Ich laufe mit meinem Handy zu ihnen, zeige auf unseren Standort und fliege virtuell über den Atlantik nach Deutschland. Sie schauen mich ehrfurchtsvoll an. Und dann überschlagen sie sich mit Fragen: Ob ich Kinder habe? Wo sie sind? Wie ich heiße? Ob das mein Mann ist? Was wir hier machen und so weiter…! Zum Abschied biete ich ihnen von meinen frisch gekauften Erdbeeren an. Sie strahlen.

Träume

Zurück auf meinem Beobachtungsposten frage ich mich, was wohl aus ihnen werden wird. Der Kinofilm Coco – lebendiger als das Leben, geht mir durch den Kopf. Träumen diese Kinder auch davon ein Star zu werden? Welche Rolle spielt die Tradition in dieser kleinen Stadt heute noch? Ich seufze. Wenn ich nur besser spanisch sprechen könnte!