Eine Bettlerin sitzt im historischen Zentrums von San Miguel de Allende am Straßenrand. Bettler sind selten in Mexiko. Mit irgendetwas kann man immer etwas Geld verdienen. Sei es Gebäck, Süsswaren, Obst oder Gemüse zu verkaufen, Kunststücke aufzuführen, die Fensterscheiben der Autos während der Rotphasen der Ampeln zu putzen und vieles mehr. Die Mexikaner sind kreativ.
Die Künstlerstadt San Miguel de Allende
Berni und ich schlendern durch die Straßen von San Miguel de Allende. Die Stadt hat Charme. Das liegt an der spanisch-kolonialen Architektur und den bunten Häuserfarben. Sie leuchten in der Sonne, allen voran die Kathedrale Parroquia de San Miguel Arcángel, die aus rosarotem Sandstein gebaut ist. Wir blicken durch offene schwere Holzportale in wunderschöne Hotels, Restaurants, Kneipen und Kunstgalerien. Bereits in den dreißiger Jahren zog es viele Künstler und Schriftsteller nach San Miguel. 1951 wurde die Kunstakademie Instituto Allende gegründet. In den Gassen kann man manchmal den Künstlern bei der Arbeit zusehen.
Das erste Mal
Die Frau am Straßenrand trägt mexikanische Tracht. Ihr Gesicht ist voller Runzel. Sie wirkt nicht verwahrlost und sie hat etwas großmütterliches an sich. Berni und ich sind bereits an ihr vorbei. Da stutze ich. Ein paar Pesos, die tun uns nicht weh! Ich laufe zurück und drücke ihr ein bisschen Kleingeld in die Hand. Sie hebt den Kopf und lächelt. Ihr Blick ist so warm, dass ich sie am Liebsten umarmt hätte.
Die Touristenstadt San Miguel de Allende
Das Zentrum der Stadt bildet die mächtige Kathedrale. Sie ist ein beliebtes Fotomotiv. Berni und ich setzen uns auf eine Bank und beobachten das munteren Treiben. Es ist zwar unter der Woche, aber der Platz ist gut besucht. Vor allen Dingen die jungen Mädchen posieren vor den Handys ihrer Freunde oder Freundinnen. Bis das perfekte Foto geschossen ist, das dauert. Würden wir solange Zeit für ein Foto benötigen, kämen wir nicht vorwärts! Ein Filmteam filmt irgendwelche Szenen. Im Hintergrund spielt eine Musikgruppe in spanischer Tracht für die Liebespaare. Die Lieder klingen nach Herz und Schmerz. Offenbar kennt die Bevölkerung den Text, denn neben mir wird leise mitgesungen. Amerikanische Rentner sitzen unter den schattigen Bäumen und genießen ebenfalls das muntere Treiben.
Das zweite Mal
So vergeht die Zeit. Da sehe ich plötzlich zwischen all den Menschen eine winzige Gestalt. Sie trägt mexikanische Tracht und ihr Gesicht ist voller Runzeln. Sie wirkt ein wenig verloren. Vor den Touristen bleibt sie stehen. Die sind allerdings mehr mit sich selbst und dem perfekten Foto beschäftigt. Sie wendet sich dem Platz zu. Vor uns bleibt das Großmütterchen ebenfalls stehen. Ich lache sie an und stammle in meinem Anfängerspanisch: „Aber wir haben doch schon gegeben!“, und zeige auf die Seitenstraße. Sie hebt den Kopf und schaut mich an. Ein Erinnern zieht über ihr Gesicht. Sie hebt die Schultern, wie um sich zu entschuldigen, und zieht weiter.
Das dritte Mal
Allmählich wird es kühl. Wir befinden uns auf 1900 Höhenmetern. Berni und ich müssen uns bewegen. Wir tauchen in die mexikanischen Märkte ein. Die Chaoswelt umschließt uns.
In San Miguel gibt aber auch sehr geschmackvoll eingerichtete Boutiquen von internationaler Ausrichtung. Da entdeckt Berni in einem Schaufenster Croissants und kleine Quichés. Eine französische Bäckerei! Das Abendessen ist gerettet! Wir stolpern vollgepackt mit Köstlichkeiten aus dem Laden mitten in ein kleines mexikanisches Großmütterchen! Wir müssen lachen. Berni hat noch sein Wechselgeld in der Hand. Er drückt es der überraschten Frau in die Hand! Aller guten Dinge sind drei!