Catemaco, La Jungla, Alex und Emily

Erste Begegnung in Verasur 

Eines Abends, wir wollen gerade mit Johnny eine Runde am Strand drehen, bemerken wir einen schwer bepackten Fahrradfahrer. Der junge Mann steht mitten auf der Wiese hinter unserem Ferienhaus und blickt suchend um sich. An einer seiner Satteltaschen ragt eine Stange mit diversen Flaggen empor. Ganz oben an der Spitze flattert die Deutschlandfahne. Noch ehe ich die Situation richtig erfasse, eilt Berni dem jungen Mann entgegen. Es ist Alex aus Berlin. Sein Frau Emily ist gerade auf der Suche nach dem auf der Karte verzeichneten Campingplatz. Wir bieten ihm spontan unseren Garten an. Das war in Verasur. Vor etwa vier Wochen. 

Raus aus der Tristes hinein in die Welt.

Alex ist gelernter Koch. Er arbeitete für ein renommiertes Hotel in Berlin. Die Arbeit war stressig. Er litt an Sodbrennen und Magenproblemen. Aber er sah die Zusammenhänge nicht. „Manchmal ist das wie in einem Leistungsrausch, du meinst, du kannst alles“. Seine Frau und er sahen sich kaum. Emily ist gelernte Patissienne. Sie arbeitete tagsüber für eine amerikanische Firma. Er arbeitete vorwiegend nachts. Im Mai 2020 kam der erste Lockdown. Beide saßen völlig ausgebremst in ihrer Berliner Wohnung. Nachdem der erste Schock überwunden war, fingen sie an sich Fragen zu stellen. War das das Leben, das sie sich vorgestellt hatten? Wo waren ihre Träume geblieben?

Zwei Jahre Freiheit

Sie schmiedeten Pläne. Zeit genug hatten sie jetzt. Sie wollten aus Deutschland raus und auf dem direkten Weg nach Japan. Irgendwie. Zwei Jahre Zeit räumten sie sich ein. Beide erhielten Kurzarbeitergeld, aber sparen konnten sie davon nichts. Es reichte gerade fürs Überleben. Es musste also kostengünstig sein. Sie wählten das Fahrrad als Transportmittel. Emily kündigte ihren Job und arbeitete nachts auf einem Berliner Großmarkt. Er war nicht vom Lockdown betroffen und es gab Zuschläge für die Nachtarbeit. Alex verkaufte auf Ebay alles, was sie sich in den letzten Jahren angeschafft hatten. Die Corona Maßnahmen tangieren sie weniger, denn sie hatten ein gemeinsames Ziel vor Augen: Die Reise nach Japan. Darauf richteten sie ihre ganze Energie. Ende August 2021 übergaben sie die Schlüssel ihrer Berliner Wohnung einem Zwischenmieter und starteten mit ihren vollbeladenen Fahrrädern kreuz und quer durch Deutschland. Allen Familienmitgliedern musste Auf Wiedersehen gesagt werden, bevor es wirklich los ging: Mit der großen Reise quer durch Asien nach Japan. Mit einem Budget von 10€ pro Person und Tag.

Enstation Istambul

Dreieinhalb Monate radelten sie durch Tschechien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und die Türkei. In Bulgarien mussten sie eine Zwangspause einlegen, weil eine ihrer Zeltstangen Risse bekommen hatte. Das ist ein wichtiges Teil. Bis per Post eine neue Stange geliefert wurde, organisierte Alex die Weiterfahrt. Die Visen für den Iran mussten bestellt werden. Aber Iran hatte sich inzwischen komplett abgeriegelt. In den nachfolgenden Ländern sah es nicht besser aus. Was tun? Inzwischen hatten sie erkannt, dass der Weg das Ziel ist. Die Zeit für Japan war offensichtlich noch nicht reif. 

Mexiko

Sie beschlossen nach Mexiko zu fliegen. Die Panamerica durch Südamerika stand auch irgendwann einmal zur Debatte. Vielleicht war es nun der richtige Zeitpunkt? Von Istanbul flogen sie nach Mexiko City. Während wir die Fahrt von Mexiko City nach Veracruz in fünf Stunden mit dem Auto zurücklegten, brauchten sie 14 Tage. 

Manuel

Aber sie trafen Manuel. Er gehört zu ihren schönsten Reiseerlebnissen. Der Mexikaner gabelte sie auf der Landstraße über das Gebirge auf und bot ihnen an in seinem Garten zelten zu können. Angekommen auf seinem Grundstück bot er ihnen sein Gästezimmer mit den Worten an: „Mein Haus ist euer Haus.“. Und dann nahm er sich für Emily und Alex die nächsten 2-3 Tage Zeit, obwohl er durch die Weihnachtszeit eigentlich -keine- Zeit hatte: „Ich zeige euch jetzt mein Land. Hier lebe ich…“. Er fuhr mit ihnen zu der Pyramide in der Umgebung und ließ sie teilhaben an alten Zeremonien. Und wenn die Beiden nicht zu der Weihnachtszeit gekommen wären, würde er ihnen gerne 14 Tage sein Land zeigen, damit sie verstehen, was Mexiko ist.  Emily’s und Alex’s Traum ist es Manuel eines Tages wiederzusehen. 

Catemaco, La Jungla

Stattdessen treffen sie uns auf dem Campingplatz La Jungla in Catemaco. Der Platz ist wunderschön. Er liegt mitten im Dschungel und ist nur über einen unbefestigten und zugewucherten Weg zu erreichen. Zum Ausgleich dafür gibt es diverse Schwimmbecken, ein Restaurant und viel Natur. Brüllaffen und Papageien wecken uns am Morgen. Eine Bootsanlegestelle lädt uns zum Paddeln ein. Ein idealer Platz zum Pausieren. Die selbe Idee hatten auch Emily und Alex. Es war ein herzliches Wiedersehen!

Spinnen

Alex ist ein ausgezeichneter Erzähler. Wir genießen es den beiden bei Kerzenschein zuzuhören. Am letzten Abend laden wir sie in unsren VW-Bus ein. Wer weiß? Vielleicht ist die Art der Fortbewegung irgendwann eine Option? Bei Dämmerung erscheint Alex allein. Emily verlässt ihr Zelt heute nicht mehr. Sie hatte kurz zuvor eine faustgroße behaarte Spinne auf ihrer Satteltasche entdeckt. Emily leidet an einer Spinnenphobie. „Das heißt sie -litt- . Die Reise ist auch eine Art Selbstheilung…“, Alex schmunzelt, „aber dieses Exemplar ist dann doch viel zu groß“. Er zeigt uns seine Handyaufnahme. Wirklich beachtlich. Und wieder einmal bewundere ich die Beiden. Schlangen, streunende Hunde, Spinnen und nicht zuletzt die überall vorhandenen beißenden Ameisen – ich bin froh, dass wir unseren Postbus haben!