Kochendes Wasser, Hierve El Aqua, Roaguia, Ox.

Es hat 36 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 30 Prozent. Berni und ich befinden uns auf einen Trampelpfad auf etwa 1800 Metern Höhe. Ringsum sind Berggipfel. Die Landschaft ist in Ockertöne gehalten. Denn alles ist vertrocknet. Nur Kakteen haben noch eine Chance Blüten zu entwickeln. Berni fotografiert sie, aber ich kann nicht mehr stehen bleiben. „Schritt für Schritt“, denke ich, „nur nicht anhalten.“ Ich befürchte nicht mehr weiter zu kommen, wenn ich einmal stehen bleibe. Mein Mund ist trocken. Ich höre meinen eigenen Pulsschlag im Ohr. Und das Zirpen der Regenmacher Grillen. Ohrenbetäubend laut. Die Natur lechzt nach Wasser. Ich auch.

Hierve El Aqua

Wir besichtigen einen versteinerten Wasserfall, den Hierve El Aqua in Roaguia. Er ist etwa 60 Kilometer östlich von unserem RV Park El Tule in Oaxaca entfernt. Kein Problem sollte man meinen. Ist es doch. Nach Mitla verändert sich die Straße. Sie ist nicht mehr asphaltiert. Es ist eine staubige Piste durch das Gebirge mit irren Steigungen. Wir passieren einen Pass auf 2300 Meter. Der Rundumsicht ist überwältigend. Der Blick auf unser Auto auch: Es ist sandbraun. Jedes Auto, dem wir begegnen, zieht eine Staubfahne hinter sich her. Vielleicht ist das der Grund, warum Berni alle Autos überholt? Der Erste bleibt bekanntlich verschont. Die fünfzehn Kilometer fordern unseren Postbus heraus. Aber mit Hilfe von Berni meistert er die Strecke bravurös. 

Parkplatz 

Am Eingang zum Wasserfall werden Berni und ich komplett mit einem Desinfektionsmittel abgesprüht. Inklusive Kleidung. Wir sind etwas sprachlos ob der Sinnhaftigkeit. Aber da wir ziemlich verschwitzt sind, das Mittel gut riecht und zudem kühlt, lassen wir die Prozession entspannt über uns ergehen. Ein Geheimtipp ist der Wasserfall nicht mehr. Davon zeugen die Architektur auf dem Parkplatz und die Marktstände. Es gibt eine präsentative Terrasse mit Blick auf die Berge, sowie eine Vielzahl an Möglichkeiten sein Geld in Essen, Alkohol oder Souvenirs auszugeben. 

Wanderung

Es ist etwa 12.00 Uhr. Berni und ich sind voller Tatendrang. Es gibt eine etwa 4 Kilometer lange Wanderung einmal um den versteinerten Wasserfall herum. Zum Schluss lockt ein Bad in den Sinterbecken. Das klingt gut. Die Tour beginnt auf 1800 Metern. Dann steigt man zum Fuß des Wasserfalles herab um die gleichen Höhenmeter auf der anderen Seite wieder aufzusteigen. Auf den ersten 500 Metern gibt es Aussichtsterassen, die noch gut besucht sind. Später sind wir allein.

Inzwischen ist es 13:00 Uhr. Die Sonne sticht erbarmungslos. Es geht bergauf. Ich will gar nicht mehr nach oben schauen. Es frustriert mich. Ich blicke nur noch auf den Boden. Da ist wieder ein Felsen. Meine Oberschenkel beschweren sich. „Wo sind nur all die Leute geblieben?“, frage ich mich im Geiste. „Umgekehrt…!“, antwortet mein Verstand. „Hättest du auch tun sollen…“. Ich seufze.

Sinterbecken

Wo all die Leute geblieben sind, sehe ich, als wir die Sinterbecken erreichen. Dort tummeln sich Groß und Klein im kühlen Nass. Die Wasserfarbe schimmert türkisblau. Berni und ich stolpern förmlich hinein. Das tut so gut. Erst danach können wir uns in Ruhe umsehen. Das ist ein Naturschwimmbad erster Güte. Von unserem natürlichen Wasserbecken aus haben wir einen atemberaubenden Blick über eine fantastische Gebirgswelt. Es grenzt direkt an den Abgrund. Zwei weitere große Becken kann ich entdecken. Die Sinterterrassen sind vor Tausenden von Jahren durch den Abfluss von kohlensäurehaltigem Wasser auf kalkhaltigem Untergrund entstanden. Sie bilden krustenförmige Überzüge. Dadurch entstehen dann die Becken. Ein weiteres Beispiel für Sinterterrassen befindet sich in der Türkei bei Pamukkale.

 Hierve El Aqua bedeutet kochendes Wasser. Aus einigen Stellen blubbert heute noch Wasser. Es sieht wirklich aus, als ob das Wasser heiß ist, aber das täuscht. Es hat höchstens 24 Grad. Hier, im kühlen Nass bin ich versöhnt mit unserer Wanderung.  Vergessen sind die Strapazen. Und wenn ich es mir richtig überlege: So ein Bad muss schließlich verdient werden.