Tula und die Atlanten, Tula de Allende, Hildalgo

Ich wußte es! Tula muss eine Stadt der Tolteken gewesen sein! Warum? Ganz einfach. Sie waren säulenverliebt. Diesen Säulen sind wir schon in Chichén Itzá begegnet. Dort gibt es die Halle der tausend Säulen. Neben den Pyramiden die Säulen zu sehen, ist für mich als würde man die Akropolis von Griechenland neben die Pyramiden von Ägypten stellen. Das irritiert mich. 

Wer waren die Tolteken?

Das ist das Volk, das sich von Mittelamerika aus zwischen 800-1200 nach Christus auf den Weg in den Norden machte. Sie suchten einen neuen Wirkungskreis und eroberten auf ihrem Zug Stadt für Stadt.  Bald dominierten sie ganz Mittelmexiko. Denn sie waren ein äußerst kriegerisches Volk. Sie liebten Säulen und Schlangen. Ihre Herrscher gaben sich den Namen Quetzalcóatl, die gefiederte Schlange. In Tula fanden die Tolteken den idealen Standort für ihre Hauptstadt. Die Stadt hatte damals eine Bevölkerung von etwa 100 000 Menschen.

Die Ausgrabungsstätte Tula

Berni und ich besichtigen die Ausgrabungsstätte Tula. Sie liegt 75 Kilometer nordöstlich von Mexiko City. Hier befinden sich die Atlanten. Das sind sechs 4,6 Meterhohe Statuen, die auf einer Pyramide thronen und von weit her zu sehen sind. Das gibt es nur hier und ist irgendwie mysteriös. Am Fuß dieser Pyramide befindet sich allerdings ein ganzer Wald an Säulen.  Die Säulen trugen ein Dach, vermutlich aus Holz, denn es ist nicht mehr erhalten. Es müssen riesige Hallen gewesen sein. Ähnlich unserer Messehallen. Was sie beherbergten, weiß man nicht.

Tula del Allende

Wir besteigen die Pyramide mit den Atlanten. Von hier oben können wir das gesamte Umland überblicken. Die Stadt befindet sich auf etwa 2100 Höhenmetern. Im Hintergrund erheben sich Bergrücken, die auf 2700 Höhenmeter anwachsen. Die Landschaft vor uns ist hügelig und trocken. Zur Ausgrabungsstätte gehört ein wunderschöner botanischer Garten. Er besteht aus Kakteen und Steppenpflanzen. Die heutige Ortschaft Tula de Allende ergießt sich über die umliegenden Hügel. Es sind meist einstöckige und weiße  Gebäude ohne Dachstuhl. Außer, dass es damals Hütten aus Naturmaterialien waren, dürfte sich an diesem Bild nicht viel verändert haben. Die Einwohnerzahl hat sich nicht wesentlich geändert.

Die Atlanten 

Ich wende mich den Atlanten zu. Im Prinzip sind es behauende Säulen. Sie blicken gen Norden oder auf den großen Platz, der vor der Pyramide liegt. Auf dem Kopf tragen sie seltsame Helme, die über die Ohren reichen. Ähnliches sahen wir schon bei den Riesenköpfe der Olmeken. Diese Hüte oder Helme sind allerdings deutlich höher und verziert. Auch die Gesichtszüge weisen Unterschiede auf. Sie scheinen feingliedriger zu sein. Auf der Brust ist ein seltsamer Apparat zu sehen. Er wird mit Bändern über den Schultern getragen. Die Arme liegen eng am Körper an. Sie tragen etwas, das ich nicht deuten kann. Die Füße stecken in schweren Stiefeln auf denen ein seltsames horizontales Rad zu sehen ist. Ich umrunde die erste Gestalt. Auf der Rückseite in Höhe des unteren Rücken sehe ich ein großes rundes Schild. In dessen Mitte schaut mich ein dreidimensionaler Kopf an.

Riesen aus einer anderen Welt

Die ganze Gestalt ist fast fünf Meter groß. Vier von insgesamt zehn dieser Riesen sind gut erhalten. Sie sind alle gleich gestaltet. Die Giganten sind in ganz Mexiko einmalig.   Ich wende mich der Infotafel zu. Die Atlanten trugen vermutlich das Dach eines Tempels, zu dem nur der König und hohe Priester Zugang hatten. Es war der Tempel des Gottkönigs Quetzalcóatl höchstpersönlich. Dieser Gott wurde den Ureinwohnern zum Verhängnis.

Quetzalcóatl

Eine Legende erzählt, dass Quetzalcóatl (gefiederte Schlange) von dem Rivalen Tezcatlipoca (rauchender Spiegel) durch Zauberei überlistet und aus der Stadt Tula vertrieben wurde. Er floh an den Golf von Mexiko und drohte, eines Tages zurückzukehren um sein Reich wieder in Besitz zu nehmen. Alle Bewohner des Landes kannten die Geschichte und glaubten daran. Jahrhundertelang. So wie die Christen auf einen Erlöser warten. Als die Spanier 1519 an der Ostküste Mexikos auftauchten,  glaubten sie, das sei der heimkehrende Gott Quetzalcóatl und hießen ihm freundlich willkommen. Es erwies sich als ein fataler Irrtum. Der Untergang der indigenen Urbevölkerung Mexikos war besiegelt.

Schlangen, Adler, Jaguare und Hunde

Wir steigen zu dem riesigen Platz hinab. Er wird von Gebäude umsäumt. In der Mitte stehen die Reste eines kleinen Tempels. Die Archäologen fanden zwei Ballspielplätze in unmittelbarer Nähe. Ich erinnere mich an Chichén Itzá und schaudere. Mit den Tolteken endeten diese Spiele tödlich. An der Nordseite der Pyramide mit den Atlanten befindet sich eine gut erhaltene behauenen Wand mit Schlangen, Jaguaren, Adlern und Hunden. Vielleicht waren das die Haustiere der Könige, denn die Jaguare und hundeähnliche Gestalten tragen Halsbänder. Die Welt der Tolkteken bestand aus Krieg und Gewalt.

Der botanische Garten

Umso friedlicher mutet die Ausgrabungsstätte heute an. Es ist ein Werktag und nicht viel los. Der Weg führt durch eine wundervoll arrangierte Kakteen- und Pflanzenwelt. Seltsame Käfer saugen den Saft von einem blühenden Baum, Heuschrecken sitzen auf riesigen Schwiegermutterkakteen und Eidechsen huschen über die Steine. Berni ist glücklich. Er dokumentiert mit der Kamera die Fauna und Flora. Fast könnte man meinen, sie sei der Hauptdarsteller!