Whitney Plantation

„Wurde ein entlaufender Sklave gefangen, brannte man ihm das Lilienwappen auf eine Schulter und schnitt ihm die Ohren ab. Ein zweiter Fluchtversuch zog ein Lilienbrandmal auch auf der anderen Schulter nach sich und es wurde ihm die Achillessehne durchschnitten. Ein dritter Fluchtversuch bedeutete den Tod.“

Wir sitzen auf einer Kirchenbank in der weißen Holzkapelle der Whitney Plantage. Um uns herum stehen lebensechte Lehmfiguren von Kindersklaven in den Gängen. Fast können wir das leise Scharren ihrer Füsse oder ihr Flüstern hören. Im Altarraum ist eine große Leinwand aufgehängt. Ein Film klärt uns über die Eckdaten der Whitney Plantage auf. Die Anfänge gehen auf Ambroise Haydel zurück. Er hieß ursprünglich Heidel und kam 1721 aus der Nähe von Würzburg an den Mississippi. Ein Deutscher. 1840 wurde die Plantage versteigert und erhielt von nun an den Namen Whitney Plantage. 

John Cummings, ein amerikanischer Anwalt, erwarb die völlig verwilderte Plantage an der River Road in den Neunzigern. Er fand acht Buchbände, darin seitenweise Übersichten mit den Namen von Sklaven, deren Wert und teilweise Lebensgeschichte. Seitdem wird geforscht, aufgeklärt und veröffentlich.

The Wall of Honor

Unweit der Kirche befindet sich das Denkmal The Wall of Honor zur Erinnerung aller Menschen, die auf der Whitney Plantage versklavt wurden. Name, Herkunft, Alter und Fähigkeiten sind in Granitplatten eingraviert. Die Liste ist lang. Sehr lang. Man hat sie in Afrika gefangen genommen und wie Vieh über den Atlantik geschifft. Wer überlebte wurde auf Aktionen verkauft. Sie erhielten amerikanische Namen. Da sie von unterschiedlichen afrikanischen Stämmen abstammten, konnten sie sich nicht einmal untereinander verständigen, geschweige denn die Sprache ihrer Besitzer verstehen. 

Und es geht weiter. In den Alées Gwendolyn Midlo Hall befinden sich 107 000 Namen von Sklaven in Louisiana. Mit Zitaten und Bildern. 

Slave Quaters

Wir sehen uns betroffen um. Das Gelände wirkt friedlich. Angelegt wie ein Park. Die Sonne scheint vom blauen Himmel. Die großen Zuckerrohrkessel sind dekorativ aufgestellt. Es scheint alles so unwirklich. Als nächstes besichtigen wir eine von ehemals 22 Sklavenhütten. Jede Familie besaß einen Raum. Egal, wie viele Personen hier lebten. Ein Bett: Wer nicht mehr reinpasste, schlief auf dem Boden. Alle zwei Jahre gab es eine Decke. Ein schmaler Tisch. Ein bisschen Geschirr. Mehr nicht. Bis zu 15 Personen lebten in einem Raum. 
Ich trete zu den kleinen Sklavenjungs aus Lehm auf die Terrasse und schaue mich um. Statt der sauberen Wege und dem angelegten Rasen sehe ich im Geiste Schlamm und Dreck. Sumpf vom Mississippi River. Moskitos. Zerlumpte hungrige Kinder. Freilaufende Hühner. Und ahne die all gegenwärtige Angst. 

Auf dem Weg zu Küchenhütte streifen wir ein seltsames verrostetes Gebäude aus Stahl. Es wurde für den Transport, als Gefängnis und als Aufenthaltort von Sklaven bis zu deren Verkauf konzipiert. Unvorstellbar.

Das Herrenhaus

Es ist schön. Ja wirklich. An der Vorderseite hat es über die gesamte Länge eine Gallerie und auf der Rückseite eine offene Logia. Es wurde Ende 1800 Jahrhundert erbaut und ist natürlich nicht so pompös wie die Schlösser in Frankreich oder Deutschland. Aber ich könnte es mögen, wären da nicht die hartnäckigen Bilder der versklavten Menschen in meinem Kopf. Die Unmenschlichkeit, die sich in den Wänden abspielte. Die Geschichte von Ceceil Georg, Shack Wilson und vielen anderen.

Bedrückt verlassen wir die Whitney Plantage und folgen der River Road in Richtung Texas. Vorbei an den Zuckerrohrplantagen, die heute von moderne Maschinen beackert werden. Vorbei an schnuddeligen Mobilhome-Siedlungen und vorbei an den vergessenen Herrenhäusern.