Carlos und der schönste Platz der Welt, Los Organos

Topos (Bodenschwellen)

Wir folgen von Veracruz aus dem Highway 180 in südlicher Richtung bis kurz vor Tula.  Dann biegen wir in eine kleine Seitenstraße Richtung Meer ab. Die Straße ist schmal und übersät von türkischen Bodenschwellen. In den Dörfchen regeln sie die Geschwindigkeit  auf max. 30 Stundenkilometern herunter. Ganz ohne Technik. Außerdem spart man sich auf diese Weise auch die Zebrastreifen, weil jedes Auto so oder so auf 1-2 Stundenkilometer abbremsen muss. In der Zwischenzeit wechseln Passanten die Straßenseite. Oft bieten fliegende Händler an diesen Stellen  Obst und Gemüse an. Derzeit sind es Limetten. Wir passieren kleine Siedlungen mit hochtrabendem Namen wie La Florida, die mit dem Reichtum von Florida/USA so gar nichts zu tun haben. Da sind zerfallene Bauruinen und halbfertige Häuser, deren Armierung aus dem Dach ragt. Und jede Menge Garagenhäuser. Ich nenne sie so, weil sie unseren Autogaragen so ähnlich sehen. Meist wird dort, wo bei uns das Auto stehen würde, irgendetwas zum Verkauf angeboten. Zwischen den einstöckigen Häusern sind Wäscheleinen gespannt. Es riecht nach einer Mischung von Persil und Autoabgasen. Lastwagen, voll beladen mit Zuckerrohr, quälen sich über die Topos (Bodenschwellen).

Cascadas Los Organos

Während sich Berni auf die Straße konzentrieren muss, kann ich die Natur bewundern. Die Landschaft ist üppig grün. Auf den riesigen Weiden grasen Rinder und Schafe gemeinsam mit Pferden. Zur Absteckung der Weide benutzen die Bauern Weidestöckchen und spannen dazwischen Draht. Sie treiben aus und bilden wunderschöne Alleen. Ich denke traurig an Deutschland: Wir opferten alle unsere Bäume dem Verkehr. Gigantische Farne spießen aus dem Boden. Kletterpflanzen ranken sich an den Bäumen hoch. Sie sehen so gesund aus, wie sie bei uns nur in einem botanischen Garten gedeihen können.

Ein Wasserfall

Da entdecken wir eine Abzweigung: Cassadas Los Organos. Das ist ein Wasserfall. Und ein Campingplatz ist auch gleich angeschrieben. Nichts wie hin. Ein etwas 20 jähriger Mann nimmt uns in Empfang. Für 180 Pesos können wir über Nacht bleiben und seine Mutter kocht uns heute Abend Reis mit Hühnchen. Ist das ein Angebot? Sicher! Für umgerechnet etwa 8 Euro können wir uns nicht beschweren. Der Wasserfall ist schnell überprüft: Er ist unspektakulär. Ich schätze ihn auf zwei Meter Fallhöhe. Der kleine Bach hat sein Bett steil in ein enges Tal gegraben. Es ist nicht viel Platz an seinen Ufern. alles ist modrig und rutschig.Wir beschließen allerdings, morgen früh unser Yoga dort abzuhalten. Seit wir Dulce trafen, stehen wir morgens zeitig auf um unsere Übungen abzuhalten. Erst dann gibt es Frühstück.

Carlos und …

Ein paar Stunden später klopft es an unser Fenster. Ein älterer Mann spricht uns auf spanisch an. Er ist der Opa des jungen Mannes, soviel kann ich heraushören und wohnt in Los Organos. Leider funktioniert das Internet nicht, sonst könnte ich mich mit dem Google Translater behelfen. Er kramt sein vergessenes Englisch hervor. Offenbar lebte er einige Zeit in La Paz, der mexikanischen Grenzstadt zu den USA. Aber die Amerikaner seien schlechte Menschen. Sie schauen auf die Mexikaner herab. Verscheuchen sie wie Vieh. Es rentiert sich nicht dorthin zu gehen. Mexiko ist viel besser. Es gibt viele wunderbare Orte. Und dann folgt eine Aufzählung vieler Namen, die wir alle weder kennen noch lokalisieren können. Die Erfahrung machten wir auch in den USA. Irgendwann werden wir die Geographie von Mexiko erfassen können. Derzeit sind wir am Anfang unserer Reise. Wir unterhalten uns mit Händen und Füssen. Er interessiert sich für den Bus. Wie er nach Mexiko kam usw.

… der schönste Platz der Welt

Am nächsten Morgen begrüßt uns Carlos. Er hat schon gefrühstückt und ist unterwegs zum schönsten Platz der Welt. Ob wir ihn begleiten wollen? Gleich den Hügel hinauf. Ja, sicher. Wir wollen gerne. Minuten später stehen wir auf einem sanften Hügel. Unser Blick fällt bis zum Meer. Davor können wir einen kleinen Strand ausmachen. Der laue Wind weht den Salzgeruch zu uns. Unter uns wellt sich eine üppige Landschaft. Kühe und Pferde grasen im Schatten der Bäume. Ein Fluss schlängelt sich durch das Grün. Hinter uns erhebt sich das Gebirge des San Martin. Wir können uns nicht satt sehen. Carlos hat Recht. Dieser Ort hat Magie. Wir danken ihm. „Oh nein,“ sagt er, „dankt der Sonne, dem Meer, dem Wind und der Erde!“. Er strahlt uns an. 
Und dann stellt er einen Sonnenschirm auf, packt fritterte Bananen aus und setzt sich in den Schatten. Mit Blick aufs Meer. Er ist glücklich.