Ich lausche in die Dunkelheit unseres Hostelzimmers: Der Lärm ist unbeschreiblich, allein ich finde keine Worte, ihn zu beschreiben. Es ist Musik, soviel steht fest, denn ein Bass hämmert erbarmungslos in einem schnellen Rhythmus. Begleitet von Trommeln. Aber ich kann kein Lied heraushören. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Ununterbrochene schnelle Wellen von einem Durcheinander aus menschlichen Stimmen. Singen sie überhaupt dasselbe Lied? Oder sind das mehrere Bands, die sich zu einem akustischen Brei vermischen? Aber es müsste doch irgendwann ein „Luftholen“ geben? Ein neues Stück oder eine Ansage? Um elf Uhr gingen Berni und ich ins Bett. Inzwischen ist es 4:30 Uhr.
León – Die Hauptstadt der Revolution
Die Stadt wird von ihren Bewohnern liebevoll La Capital de la Revolución (die Hauptstadt der Revolution) genannt. Denn ihre Bewohner sind außergewöhnlich temperamentvoll, kreativ und politisch engagiert. León kann auf eine lange Liste von Freiheitskämpfern blicken, und die Bevölkerung ist stolz auf ihre „Helden“. Die Mischung – interessiert uns! Leider gibt es in dieser Stadt keinerlei Campingmöglichkeiten. Und so buchen wir für zwei Nächte ein Zimmer im Casa de Los Berrios. Es liegt nur zwei Kreuzungen vom Zentrum entfernt.
Die Stadt selber besteht aus kleinen bunten Straßenzügen, die sich mehr oder weniger schachbrettartig um den Parque Central mit der Kathedrale (Basílica Catedral de la Asunción de la Bienaventurada Virgen María) anordnen. Sie wirkt aufgeräumt und freundlich.
Museo de Arte Fundación Ortiz-Gurdián
Mich interessiert das Kunstmuseum. Es soll das größte in Zentralamerika sein und zudem in einem wundervollen Gebäude untergebracht sein. Pünktlich um 10 Uhr stehen wir vor dem Museum, das gerade seine Toren öffnet. Richtig gehört: Tore! Denn zunächst werden wir zur gegenüberliegenden Straße geschickt. Dort befindet sich in einem separatem Stadthaus eine Ausstellung rund um einen wunderschönen Patio. Wasser plätschert aus einem Brunnen in dem sich Wasserschildkröten tummeln. Habe ich schon erwähnt, dass ich diese schattigen Innenhöfe liebe? Widerwillig löse ich mich und kehre zum ersten Haus zurück. Liebt man diese alten Gebäude so wie ich, ist das Kunstmuseum ein absolutes Highlight. Um vier (oder fünf) weitere wunderschöne Innenhöfe gruppiert sich Kunst aus aller Welt und jegliche Richtung. Durch die Hallen zu schlendern ist Genuss pur. Dazwischen dem plätschernden Wasser zu lauschen – herrlich! Bekäme Berni nicht Hunger, könnte ich den ganzen Tag hier verbringen!
Weihnachtsmarkt in León
Am dritten Adventswochenend ist der Parque Central weihnachtlich geschmückt: Das heißt es blinkt überall in allen künstlichen Farben. Für die Kinder sind Trampoline und ein Karussell aufgestellt. Es erinnert mehr an einen Jahrmarkt unter dem Motto Weihnachten. Doch an einer Seite des Platzes entdecken wir eine ganze Reihe dekorativer Weihnachtsställe mit Josef und Maria und dem Jesus Kind. Irgendwelche Initiativen haben sie ins Leben gerufen. Keiner der Besucher verlässt den Platz ohne ein Selfie vor diesem Hintergrund!
Die Gigantonas
Daneben tanzt eine etwa vier Meter hohe Puppe zu lauten schnellen Trommelschlägen. Es ist eine Gigantona, eine Riesenfrau mit weißer Hautfarbe, blondem Haar und einem prachtvollen gelben Kleid. Kinder kriechen unter ihren Rock in ein Tragegestell und lassen sie tanzen. Während andere Kinder die Trommeln schwingen. Das Fest der Gritaria ist eine Tradition in León, das am siebten Dezember mit einer Prozession durch die Straßen startet. Wer ist die Gigantona (Riesin)? Über das Internet erfahre ich, dass es ein Symbol der Jungfrau Maria und der Stadt León sein soll. Ich würde gerne die Mythen und Geschichten hierzu hören, denn auch in Zentralamerika wurden die Knochen von sogenannten Riesen gefunden. Vielleicht steckt noch mehr dahinter? In León gibt es jedenfalls mindestens zwei „Jungfrauen Marias“, denn eine weitere tanzt bereits an einer anderen Ecke des Platzes zu wilden Trommelklängen.
Eine Hochzeit in der Kathedrale
Während rechts der Kathedrale eine Tribüne aufgebaut ist, auf der Tänzer zu lauter traditioneller Musik Stücke aufführen, erschallt aus der Kirche Hochzeitsmusik. Der glückliche Ehemann und seine weiße Braut zeigen sich der Öffentlichkeit. Das ist schön! Aber auch irgendwie krass. Berni und ich sitzen in diesem für uns riesigen Durcheinander und beobachten die Szenerie. Was für ein Unterschied zu den Weihnachtsmärkten in Deutschland!
Das legendäre Nachtleben von León
Aber irgendwann wird es uns zu viel. Wir sind Naturmenschen und benötigen Abstand. León besitzt ein ausgeprägtes Nachtleben. Jede Nacht ist irgendwo etwas los, heißt es. Warum haben wir nur ein Zimmer in Zentrumnähe gewählt?, frage ich mich die ganze Nacht. Die Wachsohrenstöpsel taugen nichts. Ich schaue wiederholt auf die Uhr. Vielleicht sollten wir aufstehen und einfach mitmachen. Aber so ganz sicher fühle ich mich nicht. Wir fallen auf und man hält uns immer für Gringos (Amerikaner). Der Rat unserer Herbergsmutter geht mir durch den Kopf: Den Postbus über die Nacht auf einem bewachten Parkplatz abzustellen. Nein. Mein Herz rast im Rhythmus der Musik. Der Morgen graut schon und irgendwann wird Schluß sein.