Reisen ist ein Sich-Üben im Abschied nehmen
Immer und immer wieder verlassen wir lieb gewonnene Orte, Menschen oder Tiere. Und obwohl ich es gewöhnt sein müsste, war ich diesmal den Tränen nahe.
Cascada la Estanzuela
Das blaue Schild zum Wasserfall Estanzuela ist von der Carretera CA-11A nicht zu übersehen. Ein Wohnmobil Zeichen zeigt uns Campingmöglichkeiten an. Die Straße ist nicht asphaltiert und in einem erbärmlichen Zustand, ebenso die wenigen Häuser der kleinen Siedlung, die wir durchqueren müssen. Der Weg führt weit außerhalb des Dorfes zu einem Gatter, das von einer älteren Honduranerin bewacht wird. „160 Lempira kostet das Campen“, antwortet sie auf meine Frage. Das sind umgerechnet 4,25 €. Da gibt es nichts zu überlegen! Sie öffnet das Tor und wir folgen dem Weg weitere 600 Meter bis zu einem riesigen Wasserfall.
Ein traumhafter Stellplatz oberhalb der Cascada la Estanzuela
Es gibt Parkplätze unterhalb des Wasserfalls, aber der Weg führt weiter in die Höhe. Wir quälen den Postbus die Steigung hinauf. Und entscheiden uns für einen traumhaften Stellplatz direkt an der Abrisskante des Wasserfalles.
Die Kulisse für ein Fotoshooting
Nun gilt es das Gelände zu erkunden. Die sanitären Anlagen bestehen aus Umkleidekabinen und zwei Toiletten mit Handspülung. Das erlebt man oft in abgelegenen Gegenden. In diesem Fall dient ein Steintrog als Wasserbehälter, aus dem mittels Eimer die Spülung ersetzt wird. Die Toiletten sind sauber. Ein Schild weist uns den Weg zu den Las Grutas (Grotten), die wir uns aber für morgen aufheben. Es ist bereits 16:00 Uhr und in der Höhe von 1200 Metern empfindlich frisch. Stattdessen beobachten wir erfreut ein Fotoshooting, das sich direkt vor unserer Nase abspielt.
Der schwarze Riese
Da sehe ich ihn zum ersten Mal. Ein riesiger schwarz/brauner Hund mit weiß gesprenkelten Pfoten sowie eine kleine braune Hündin stehen vor Berni, der genüsslich seine Kekse verspeist. Die Dame ist sicherlich schwanger, bei dem Riesen kann ich jede einzelne Rippe zählen. Er erinnert mich an Johnny, bei dem das schwerste Teil sein großer Kopf war. Das Exemplar hier würde unseren verstorbenen Hund sicher um 10 Zentimeter Höhe übertreffen. Es dauert nicht lange, bis ich das Hundefutter von Rosalia auspacke. Wir hoben es für Fälle wie diesen auf. Die kleine Hündin stellt sich als geschickter und flinker heraus. Der Riese ist zu groß und ungelenk. Hunde dieser Größe haben es schwer.
Las Grutas
Am nächsten Morgen sind die beiden selbstredend wieder zur Stelle. Während die Lady ihrer Wege zieht, begleitet uns der Schwarze zu den Grutas. Das Gelände des Freizeitcenters Cascada la Estanzuela ist riesig. Es zieht sich sicherlich 500 Meter an dem Fluss entlang, der leider schmutzig-braunes Wasser enthält. Dann zweigt ein Schild zu den Höhlen ab. Es geht steil bergauf. Leider dürfen wir die Grutas nicht betreten, davor steht jedoch eine mehr als desolate Plattform. Wir erklimmen auch diese, um einen Blick auf die Fingerprints von Ureinwohnern zu werfen. Viel zu sehen ist nicht!
Schön ist der Ausflug dennoch. Um uns herum riecht es würzig wie in Korsika. Schmetterlinge umflattern uns. Und unser Vierbeiner ist ein netter und unaufdringlicher Begleiter. Genau wie unser verstorbener Hund Johnny hat er das Talent absolut nicht fotogen zu sein! Als ob er sich genieren würde.
Abschied nehmen
Nach dem Spaziergang sind wir hungrig. Unser treuer Begleiter verspeist seine nächste Portion Hundefutter und erscheint uns schon nicht mehr ganz so dünn … Am Abend findet sich die kleine Hündin ein. Auch sie erhält ihre Portion Hundefutter. Der schwarze Riese schläft die folgende Nacht quasi Kopf an Kopf mit uns. Er außerhalb wir innerhalb des Busses. Ab und zu muss er andere Hunde vertreiben, wovon er am nächsten Morgen eine kleine Bisswunde an der Schulter erhält. Berni schlägt sich seinen Kopf an einem Balken an. Unser neues Desinfektionsmittel erhält seinen ersten Einsatz: Beide Herren werden verarztet. Ich streichele trotz offensichtlicher Flöhe dem schwarzen Riesen über seinen schweren Kopf. Er drückt sich an mich und wedelt dankbar mit seinem langen Schwanz. Wir sind ineinander verliebt, soviel steht fest. Ich blicke auf ihn herab.
Flucht vor den Gefühlen
Ich habe keine Wahl: Ich kann ihn nicht mitnehmen. Selbst wenn wir ihn durch alle Länder schleifen, die noch vor uns liegen, so müsste er den Flug in einem Flugzeug über sechzehn Stunden allein verbringen. Es wäre ein Schock für ihn. Ich denke an die kalten Winter in Deutschland und den Leinenzwang. Nein, das kann ich ihm nicht antun. Also steige ich schnell in unseren Postbus und hoffe, dass er uns nicht folgt. Berni fühlt wie ich und gibt Gas. Und dann sehen wir ihn, wie er weit ausholt, um uns zu folgen. Er hat einen unglaublich schönen Gang. Wir fliehen vor ihm und unseren Gefühlen.
Und ich halte mir die Hände vor das Gesicht und kämpfe mit den Tränen.